Krieg und Frieden by Lew Tolstoi

Krieg und Frieden by Lew Tolstoi

Autor:Lew Tolstoi [Tolstoi, Lew]
Die sprache: deu
Format: epub


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Seit der Ankunft seiner Frau in Moskau hatte Peter die Absicht, zu verreisen, nur um nicht mit ihr zusammen zu sein. Bald nach der Ankunft Natalies in Moskau veranlaßte ihn der Eindruck, den sie auf ihn machte, die Ausführung seiner Absicht zu beeilen. Er fuhr nach Iwer zu der Witwe Basdejews, welche schon lange versprochen hatte, ihm die Papiere des Verstorbenen zu übergeben.

Als Peter nach Moskau zurückkehrte, erhielt er einen Brief von Maria Dmitrijewna, welche ihn wegen einer wichtigen Sache zu sich rief. Auf dem Wege dahin rief ihn auf dem Iwerschen Boulevard jemand an.

»Peter, bist du schon lange wieder hier?« rief eine bekannte Stimme. In einem zweispännigen Schlitten saß Anatol mit seinem beständigen Begleiter Makarin. Anatol saß gerade, in der klassischen Haltung kriegerischer Stutzer. Ein Biberkragen umschloß seinen Hals, sein Gesicht war gerötet und frisch, der Hut mit dem weißen Federbusch saß auf der Seite und ließ seine pomadisierten und mit Schnee beworfenen Haare sehen.

»Wirklich, das ist ein wahrer Weiser«, dachte Peter, »er sieht nichts außer dem Augenblick des Vergnügens, nichts beunruhigt ihn und deshalb ist er immer so heiter und zufrieden. Was würde ich darum geben, so zu sein wie er!« dachte Peter neidisch. Im Vorzimmer sagte der Diener, welcher Peter den Pelz abnahm, Maria Dmitrijewna lasse ihn zu sich ins Schlafzimmer bitten.

Als Peter die Tür zum Saal öffnete, erblickte er Natalie, welche am Fenster saß mit hagerem, bleichem und zornigem Gesicht. Mit kühler Würde verließ sie das Zimmer.

»Was ist geschehen?« fragte Peter, als er zu Maria Dmitrijewna eintrat.

»Schöne Geschichten«, erwiderte sie, »fünfundfünfzig Jahre habe ich in der Welt gelebt, aber einen solchen Skandal habe ich nicht erlebt!« Sie nahm Peter sein Ehrenwort ab, über alles zu schweigen, was sie ihm sagen werde, und teilte ihm dann mit, daß Natalie ihrem Bräutigam ohne Wissen der Eltern einen Absagebrief geschrieben habe, daß die Veranlassung dazu Anatol Kuragin war, mit dem Peters Frau sie bekannt gemacht habe, und mit welchem Natalie in Abwesenheit ihres Vaters entfliehen und sich heimlich verheiraten wollte.

Peter hörte mit offenem Munde zu und traute seinen Ohren nicht. Das liebliche Bild Natalies, die er von Jugend auf kannte, vermochte er nicht mit der neuen Vorstellung von ihrer Erniedrigung und Torheit zu vereinigen. Er dachte an seine Frau. »Es ist eine wie die andere«, sagte er zu sich selbst und dachte, nicht ihm allein sei das traurige Geschick beschieden, an ein abscheuliches Weib gebunden zu sein. Aber er war doch bis zu Tränen gerührt um Fürst Andree, dessen Stolz er kannte, und je mehr er seinen Freund bedauerte, mit desto größerer Verachtung dachte er an diese Natalie, welche eben mit dem Ausdruck kalter Würde durch den Saal gegangen war. Er wußte nicht, daß das Herz Natalies mit Verzweiflung und Beschämung erfüllt war, und daß sie unschuldig daran war, daß ihr Gesicht unwillkürlich eine ruhige Würde ausdrückte.

»Heiraten?« wiederholte Peter. »Er ist ja schon verheiratet!«

»Es wird immer schöner! Ein prächtiger Junge! Ein richtiger Schurke! Sie aber wartet immer noch, schon den zweiten Tag! Man muß es ihr sagen, damit sie wenigstens aufhört zu warten.



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